18.05.2025
6 – setzen! Schwachpunkte im deutschen Bildungssystem
Das deutsche Bildungssystem gleicht einem riesigen Öltanker: manövrierunfähig, schwerfällig und kaum in der Lage, schnell auf Herausforderungen zu reagieren.
Am besten werden Eltern selbst aktiv und schauen genau hin, wenn ihre Kinder von der Schule gefrustet sind: Hat mein Kind Schwierigkeiten mit Lesen? Kann mein Kind gut rechnen? Die Rechtschreibung klappt nicht? Wenn Eltern tagtäglich erleben, dass ihre Kinder unter dem Leistungsdruck und fehlender individueller Förderung leiden, besteht Handlungsbedarf.
Wer die neuesten Studien liest, erkennt: Es muss sich endlich etwas ändern. Doch wird zwar auf politischer Ebene diskutiert – aber eine schnelle Umsetzung lässt auf sich warten.
In meiner Lernpraxis begleite ich Kinder, die schon früh den Glauben an sich selbst verloren haben. Und ich erlebe Mamas und Papas, die sich große Sorgen machen, und das völlig zurecht. Vier aktuelle Studien und Untersuchungen zeigen besonders deutlich, wo es hakt. Zusätzlich zu Pisa und Hattie.
🔍1. Gutachten der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz (SWK):
⚠️ Alle Kompetenzen der Schüler in Sekundarstufe I nehmen deutlich ab!
Im Auftrag der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz (SWK) wurde untersucht, wie sich die fachlichen und überfachlichen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler in Sekundarstufe I (Klassen 5 - 10) entwickelten. Das Gutachten widmet sich den Fächern Deutsch und Mathematik, den Naturwissenschaften und Englisch; überfachlichen Kompetenzen in den Bereichen Digital Literacy, Selbstreguliertes Lernen und Identitätsentwicklung sowie Berufsorientierung.
Das Ergebnis: Diese Kompetenzen haben in den letzten Jahren deutlich abgenommen! Erschreckend ist dabei vor allem die große Zahl an Schülerinnen und Schülern, die die Mindeststandards in Deutsch und Mathematik verfehlen. Denn damit wird ihnen die Teilhabe an Bildung, Arbeitswelt und Gesellschaft erschwert oder gar unmöglich gemacht.
Die SWK kritisiert deutlich: In Deutschland entscheide zu oft die soziale Herkunft über den Bildungserfolg. Kinder mit Lernschwierigkeiten erhielten viel zu selten gezielte Förderung. Inklusion, individuelle Unterstützung und frühzeitige Hilfe seien häufig Glückssache.
👉 Was das für Eltern bedeutet:
Wer bei Schwierigkeiten nicht frühzeitig aktiv wird, riskiert, dass sein Kind im System nicht mitkommt.
🔍 2. UNICEF-Bericht:
⚠️ Deutschlands Kinder mit nachlassenden Kompetenzen – und sinkender Lebenszufriedenheit
Das UNICEF-Forschungsinstitut Innocenti hat Daten aus den Jahren 2018 und 2022 zum kindlichen Wohlbefinden in 43 OECD- und EU-Ländern analysiert. Seit dem letzten vergleichbaren Bericht vor fünf Jahren ist Deutschland international von Platz 14 auf Platz 25 abgerutscht.
In fast allen Ländern der OECD und EU haben sich die Voraussetzungen für das Aufwachsen von Kindern in den letzten fünf Jahren verschlechtert – auch in Deutschland. Das zeigt sich vor allem an nachlassenden Kompetenzen der Kinder und Jugendlichen und an ihrer sinkenden Lebenszufriedenheit. Dieser Trend ist nicht erst in der Covid-19-Pandemie entstanden, aber wurde durch sie verstärkt.
Besonders besorgniserregend ist, dass die grundlegenden Fähigkeiten von Kindern wie Lesen und Rechnen in vielen Ländern erheblich schlechter geworden sind. Auch in Deutschland ist der Anteil der Kinder mit grundlegenden mathematischen Kompetenzen und Lesekompetenzen erheblich zurückgegangen, von 73 Prozent in 2018 auf 60 Prozent in 2022. Nur die Niederlande und Zypern haben höhere Rückgänge zu verzeichnen.
👉 Was Eltern wissen sollten:
Ein Kind, das sich emotional belastet fühlt und dem die Grundfertigkeiten fehlen, kann nicht gut lernen. Sicherheit und Vertrauen sind die Grundlage für jede positive Entwicklung.
🔍 3. Table.Briefings, Bildungsforscher Klaus Klemm
⚠️ Knapp 56.000 Schülerinnen und Schüler ohne Schulabschluss
Eine Auswertung von Bildungsforschers Klaus Klemm, Essen, für das Jahr 2023 ergibt, dass immer mehr SchülerInnen ohne Abschluss dastehen. Das berichtet Table.Briefings, ein Berliner Informationsdienst. Im Jahr 2023 liegt ihr Anteil in Deutschland bei 7,2 Prozent und ist damit seit 2020 um 1,3 Prozent gestiegen, seit 2014 um 1,4 Prozentpunkte.
Im Vergleich zu Bundesländern:
Deutschland gesamt: 7,2 Prozent
Bayern: 5,3 Prozent (am niedrigsten)
Sachsen-Anhalt: 12,6 Prozent (am höchsten)
Zwei von fünf Schulabgängern ohne Hauptschulabschluss kamen von einer Förderschule, wenig mehr als jeder Zehnte von einer Hauptschule. Jeder Fünfte von einer Gesamtschule.
In allen Bundesländern ist der Auswertung zufolge der Anteil der Jungen ohne Schulabschluss deutlich höher als der Anteil der Mädchen.
Jugendliche mit deutscher Staatsbürgerschaft: 2023 sechs Prozent ohne Schulabschluss, ausländische Jugendliche: 13,8 Prozent.
👉 Wichtig für Eltern:
Menschen ohne Schulabschluss haben es schwerer, einen Ausbildungsplatz zu finden und ein höheres Risiko, arbeitslos zu werden.
🔍 4. Azubi-Recruiting Trends:
⚠️ Weniger Auswahl bei Berufsausbildungen
Nur noch 41,7 Prozent der befragten Auszubildenden können zwischen zwei oder mehr unterschiedlichen Ausbildungsstellen wählen. Erstmals sank dieser Wert seit Jahren auf unter 50 Prozent. Im Jahr 2019 waren noch 73,1 Prozent der Azubis in der komfortablen Lage wählen zu können, mit Corona startete ein Rückgang.
Das hat die Studie »Azubi-Recruiting Trends« ergeben. Die »Azubi-Recruiting Trends« ist eine jährlich durchgeführte Onlinebefragung zur dualen Berufsausbildung. Befragt wurden sowohl Auszubildende und Schüler als auch Ausbildungsverantwortliche.
Außerdem haben 35 Prozent der Schülerinnen und Schüler negative Erfahrungen bei der Bewerbung um eine Ausbildungsstelle gemacht, beispielsweise unangenehme Vorstellungsgespräche oder nicht eingehaltene Zusagen. 60 Prozent fühlen sich sogar von „Ghosting“ betroffen und haben auf ihre Bewerbung keine Antwort erhalten.
Als Gründe für die Ablehnung eines Bewerbers geben Betriebe an, dass den Bewerbern Wissen über den Ausbildungsberuf fehlt (65,4 Prozent), sie keine guten Noten in Mathematik (46,5 Prozent) haben oder wenig über das Unternehmen wissen (36,2 Prozent).
👉 Was das für die Bewerbungsphase Ihrer Kinder bedeutet:
Unterstützen und ermutigen Sie Ihr Kind, während es sich einen Ausbildungsplatz sucht. Auch, und vor allem dann, wenn es nicht so gut läuft.
Was tun? Nicht warten! Sondern handeln!
Wir können eine Kurskorrektur des behäbigen Öltankers „Bildungssystem“ nicht beschleunigen. Aber wir können kleine, wendige, kraftvolle Rettungsboote für unsere Kids bereit halten.
Text und Grafik: Andrea Ertl