07.01.2025
"Schulsystem in Deutschland das ungerechteste, das ich kenne."
Der bekannte neuseeländische Bildungsforscher John Hattie geht mit dem deutschen Schulsystem hart ins Gericht. In einem Interview mit der Spiegel-Redaktion lautet sein Resümee zu Schule und Unterricht in Deutschland: „Auf den Lehrer kommt es an!“ Von ihm hänge am meisten ab, ob Schülerinnen und Schüler gut lernen.
Auf die Frage, weshalb Deutschland in den Pisa-Studien so schlecht abschneide, antwortet er: „Ich bin zu Gast hier und will deshalb vorsichtig in meiner Wortwahl sein: Ich staune, dass man in Deutschland meint, schon bei etwa neun bis zehn Jahre alten Kindern einschätzen zu können, was sie später leisten können. Kinder werden frühzeitig getrennt und auf verschiedene Schulformen geschickt. Das nimmt ihnen die Chance, sich im Laufe ihrer Schulzeit zu entwickeln und zu verbessern. Ich kann nicht verstehen, wie man so viel Talent vergeuden kann.“ Das Argument der durchlässigen Schulformen lässt er nicht gelten. Es gebe eine strenge Hierarchie der Schulen in Deutschland, mit dem Gymnasium an der Spitze.
Seiner Meinung nach sei die frühe Trennung nicht im Interesse der Schülerinnen und Schüler. Sie verdienten eine zweite, dritte und vierte Chance, um Dinge besser zu verstehen. „Und zwar über die Grundschulzeit hinaus.“
Die Strukturen im deutschen Schulsystem seien vergleichsweise starr, Deutschland stehe damit weltweit ziemlich alleine da. „Es ist das ungerechteste Schulsystem, das ich kenne.“ Und er schlägt vor, dass Kinder länger als bisher gemeinsam lernen.
Gute Lehrkräfte definiert Hattie damit, dass sie eine hohe Wirkung bei ihren Schülern hätten. Was nicht bedeute, dass gute Lehrkräfte lauter leistungsstarke Schüler hätten. Er sagt: „Mir geht es um den Einfluss, den sie auf das Lernen ihrer Schülerinnen und Schüler haben, ob sie sie zum Lernen motivieren können, wie sehr sie ihre Leistung steigern, wie viel Leidenschaft sie fürs Lernen aufbringen. Es geht auch darum, ob sie sich in der Schule zugehörig fühlen. Jeder Schüler, jede Lehrkraft weiß und fühlt, was ich meine. Aber wir sprechen zu selten darüber.“
Über John Hattie
John Hattie, geb.1950, hat 3 Kinder und lebt in Australien.
Er arbeitet seit 2011 als Professor für Erziehungswissenschaften und Direktor des Melbourne Education Research Institute an der University of Melbourne, Australien. Bekannt wurde er weltweit durch die sogenannte „Hattie-Studie“, die im Jahr 2008 erschien. Diese Studie mit dem Titel „Visible Learning“ ist eine sogenannte Meta-Analyse, also ein Verfahren, in dem Ergebnisse mehrerer Studien zur selben Fragestellung zusammengefasst werden. Hattie hatte darin Faktoren für erfolgreiches Lernen aufgelistet.
Foto: Victor Salazar auf Pixabay